Scheiben

Unzählige dünne Siliziumplatten - sogenannte Wafer - fallen jedes Jahr als Ausschuss in der mikrotechnischen Forschung und Entwicklung an, in der ich ja außerdem noch tätig bin. Die Erkenntnis, dass etliche von ihnen zweifelsohne "kunstwürdig" sind, wuchs in mir bereits seit etwa 2010. Nach fünf Jahren künstlerischen Sammelns und Selektierens - quasi aus dem Abfalleimer des Forscheralltags - hier nun eine Auswahl. Eine ausführliche textliche Darstellung folgt weiter unten.

Objektangaben:
Sammelzeit: 2010 - 2015; Durchmesser: ca. 10 cm, Dicke: ca. 0,6 mm; Material: Silizium, Lacke, Metalle
Mehr technische Details am Ende dieser Seite


1. Einzelne Scheiben













































































































2. Cluster

Die Wirkung der einzelnen Objekte - jedes für sich - ist evident. Was geschieht in größerem Zusammenhang, in der Wechselwirkung? Das fröhliche Aus- und Umlegen der bunten Scheiben war natürlich viel zu reizvoll, um ihm zu widerstehen. In entfernter Anlehnung an Wassily Kandinskys klassisches Bauhaus-Gemälde "Einige Kreise" (1926, Guggenheim Museum New York) entstanden dabei folgende Kompositionen, so zufällig wie unwiederbringlich.


Cluster 13
Cluster 11

Cluster 21
Cluster 1a








Cluster 10
Cluster 16































Eine Welt aus Silizium

Tagtäglich begegnen sie mir in meinem "anderen" Beruf, dem des Forschers und Technologen - die handgroßen spiegelnden Scheiben aus Silizium, in Größe und Anmutung auf den ersten Blick vielleicht an CDs erinnernd. Was hat es auf sich mit ihnen?
    
Silizium ist in der Mikroelektronik und der darauf aufbauenden Halbleiterindustrie seit den späten 1950er Jahren praktisch das Maß aller Dinge. Täglich werden Abermillionen von elektronischen Chips produziert für ebensoviele Millionen Smartphones, Tablets, PCs, Fernseher, Autos, Backautomaten, Waschmaschinen, Zahnbürsten... und in Zukunft - das ist anzunehmen oder zu befürchten - vermutlich auch für elektronische Körperimplantate. Und alle bestehen sie im Wesentlichen aus Silizium, bauen auf diesem Werkstoff auf, leben aufgrund seiner besonderen Eingeschaften aus ihm heraus: unsere schöne neue digitale Welt ist werkstofflich gesehen eine Siliziumwelt - denn aus Silizium ist ihr Herz, der elektronische Chip.

Damit dieser Werkstoff funktional so wertvoll wird, muss er erst einmal hergestellt werden. Zunächst wird er dafür grob aus ganz gewöhnlichem Sand extrahiert (chemisch: Siliziumdioxid). Nach vielen Reinigungsschritten, einem komplizierten Monokristallisationsprozess und anschließendem Sägen und Polieren liegt er schließlich in der typischen Form vor, in der ich ihn - als Forscher (und Künstler) - erst bekomme: der sogenannte Silizium-Wafer, kreisrund, ca. 10 cm im Durchmesser (in der industriellen Fertigung meist erheblich größer), mit einer oder zwei abgeflachten Seiten, gut einen halben Millimeter dünn, sehr zerbrechlich - und unglaublich glatt: so glatt, dass man sich darin spiegeln kann.

Mit diesen Wafern gehen die Forscher nun ans Werk: indem sie verschiedene Lacke aufbringen, mit Elektronenstrahlen oder anderen lithografischen Verfahren unsichtbar kleine Strukturen in den Lack "schreiben", entwickeln, ätzen - kurzum allerlei modern-alchemistisch anmutende Prozesse auf den Wafern anstellen, bekommen sie am Ende (im Idealfall) gelungene, fehlerfreie, mehr oder weniger neuartige, unglaublich kleine Strukturen, die im allerbesten Fall die Menschheit ein klitzekleines bisschen weiterzubringen vermögen. In der Regel ist dies aber nicht Fall - Forschung ist (ebenso wie die Kunst) ein recht mühsames Geschäft, und häufig tritt man auf der Stelle.

Bei diesen Prozessen entsteht immer wieder Ausschuss - ja es entsteht in der Forschung sogar viel mehr Ausschuss als tatsächlich Brauchbares (was wohl in der Natur der Sache liegt): nicht homogen aufgebrachte Lacke, zu geringe Energie des Elekronenstrahls, unvollständige Entwicklung, falsche Ätzparameter... in den lange Prozessketten lauern allgegenwärtig die Fehlerquellen, und da jeder Fehler ein wenig anders ist, scheiden lauter unterschiedlich anmutende, "misslungene" Wafer an verschiedenen Punkten aus der Prozesskette aus.

Lauter Unikate sind es, singuläre Readymades aus dem Abfalleimer des technologischen Forscher- und Entwicklungsalltags - Objekte mit einer ihnen immanenten,  eigenen Ästhetik und Kunstwürdigkeit. Geboren aus der Mischung aus Zufall und komplexer Prozesschemie, enstehen offenbar immerzu neue, überraschende Form- und Farbkomplexe, die - wenn man mag - mannigfache Assoziationen wecken. Sie als solche zu sehen und zu erkennen, einige von ihnen vor der Zerstörung zu bewahren - sie zu "bergen" - und schließlich sichtbar zu machen: das ist es, was mir in diesem Fall als Künstler zu tun verbleibt. Und sie stammen in diesem Fall alle einzig und allein aus dem Labor einer einzelnen Forschungsstätte, nämlich dem Reinraum des Instituts für Mikrostrukturtechnik am Karlsruher Institut für Technologie - meiner beruflichen Heimat als Wissenschaftler und Technologe. Kaum abschätzbar wohl daher, wieviele solcher einzigartigen "Objekte" jährlich in den Forschungseinrichtungen dieser Welt in den Müll wandern :-)

Jedes der Objekte steht dabei in seiner Einzigartigkeit in krassem Kontrast zu den völlig uniformen, millionenfach identischen Chips am großindustriellen Ende der langen, "erfolgreichen" Entwicklungs- und Produktioskette, die dann in ebenso millionenfach identischen Geräten verschwinden und uns dort unseren digitalen Alltag gestalten. Ein interessanter Gegensatz, wecken die "Scheiben" doch anscheinend mühelos gleich eine Reihe verschiedener Assoziationen: strahlende Sonnen, Planeten von unterschiedlichster Farbe und Oberflächenstruktur scheinen da zu schweben, bizarr gewundene, erdig anmutende Landschaftsformationen, fremdartige Architekturen und Grundrisse vermeint man zu sehen. Darüber hinaus verleiht ihnen ihre spiegelnde, stark reflektierende Eigenschaft je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel einen völlig unterschiedlichen Charakter, denn sie "absorbieren" ja optisch die Umgebung und werfen sie, z.T. stark verändert, wieder zurück.

Ich finde es eine überaus spannende Vostellung, dass - nach zahlreichen Entwicklungsschritten - mit den endlich erfolgreich gefertigten Chips wiederum hunderttausendfach Bilder (oder genauer gesagt: Kopien von Bildern) von Himmel und Erde, Landschaft und Architektur weltweit digital gespeichert und übertragen werden: Ein höchst artifizieller und indirekter Vorgang. Und dabei haben sie sich schon viel früher und höchst analog - hier und anderswo, völlig unbeachtet in den Reinräumen dieser Welt - mindestens ebenso indirekt und artifiziell, aber umso poetischer, bereits materialisiert und manifestiert.

Mein ganz herzlicher Dank gilt an dieser Stelle dem Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) - insbesondere allen im Reinraum des IMT tätigen Kollegen - für die "anonyme" Überlassung der Readymade-Objekte. Ohne ihre tägliche Forschungsarbeit gäbe es all diese faszinierenden Gebilde nicht!


A. M., April 2015


Spezifische technische Angaben zu den Objekten: 

Trägerscheiben: 
Silizium- und Siliziumdioxid-Wafer, Durchmesser ca. 10 cm, Dicke ca. 0,6 mm

Oberflächen:   
Fotolacke bzw. Resists: AZ-Lack, PMMA, SU-8, ma-N2401, etc.
aufgedampfte Metallschichten: Chrom, Titan, Gold, Silber  
Kunststofffolien (z.B. Kapton), sonstige Kunststofffragmente und -partikel, Klebstoffe, etc.

Technische Prozesse: 
Belackung (Spincoating), Metallbedampfung, Elektronenstrahlschreiben, Laser-Lithografie, UV-Lithografie, Resistentwicklung, Trockenätzen, Nasschemisches Ätzen etc.