Rezensionen



Einführung zur Einzelausstellung im Kunstverein Mittleres Kinzigtal in Haslach 
Juni 2009 

Stefan Tolksdorf, M.A. Kulturjournalist

Das Werk des Malers Alban Muslija kreist um die großen Themen, allen voran das Thema Zeit. Machen wir also, bevor wir zu seinen Bildern kommen, einen kleinen gedanklichen Exkurs.

„Zeit ist der Stoff, aus dem das Leben besteht“, schrieb vor 200 Jahren der amerikanische Erfinder und Staatsmann Benjamin Franklin. 1400 Jahre vor ihm hatte der Kirchenlehrer Augustinus seine Schwierigkeit, das Wort zu fassen: „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich's, will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's nicht.“ Selbst Albert Einstein, der Raum und Zeit unauflösbar aneinander band, wollte sich bei der Bestimmung des Wesens von Zeit nicht festlegen: Illusion oder ein elementares Phänomen? In einem Kondolenzschreiben zum Tod seines Freundes Michel Besso hatte er noch geschrieben: „Für uns gläubige Physiker besteht eine Trennung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur scheinbar – auch wenn sie starr zu sein scheint.“ Wie aber diese Vorstellung eines Zugleich, die auch die Mystiker aller Kulturen teilen, mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik in Einklang bringen, der besagt, dass die Ordnung im Universum beständig abnimmt und energetische Prozesse unumkehrbar sind – die Verfallszeit also, die wir auch am eigenen Körper spüren, weiter voranschreitet? Zeitfluss und/oder Zeitkontinuum entzieht sich also der wissenschaftlichen Beschreibung. Das Phänomen „Zeit“ selbst bleibt unfassbar.

Wie lässt sich das Thema „Zeit“ ins gemalte Bild setzen? Eine interessante Frage, sofern es – wie im Fall des Malers Alban Muslija – nicht nur um die fotografisch fixierten Bilder der Erinnerung, sondern um die Vorstellung von „Zeiträumen“ geht, – Bewegungen, die sich der alltäglichen Vorstellung entziehen. Zeit im Bild, das ist – das Wortspiel sei an dieser Stelle erlaubt – ein weites Feld.

Blicken wir kurz in die Kunstgeschichte. Auf der konventionellen Bildraumbühne konnte sich Zeit, abgesehen von ihrer allegorischen Beschreibung, zunächst nur in der Darstellung von Bewegung im Modus der Geschwindigkeit darstellen – ein Begriff, der erstmals beim Maler William Turner auftaucht. Die gestisch bewegte Farbmaterie wurde zum Ausdruck dieser an sich Rahmen-sprengenden Bewegung. Nicht so bei den Impressionisten, welche die Veränderung ihres Sujets im tageszeitlichen Wechsel des Lichts durch flirrende, vibrierende Farben veranschaulichten, mit Ausnahme des späten Monet aber am fotografischen Bildausschnitt orientiert waren. Überhaupt schien das gemalte Bild dem neuen Medium in der Sichtbarmachung zeitlicher Abläufe auf Dauer unterlegen, erst recht als die Fotos zu laufen lernten. Die Werke der von der Geschwindigkeit berauschten Futuristen konnten der Überlegenheit technisch bewegter Bilder letztlich nicht Stand halten. Doch brachten sie das Phänomen der Simultanität, des „Zugleich“ ins Bild. Noch Paul Klee hatte ja geschrieben: „Ist nicht die Malerei der Musik insofern überlegen, als hier das Zeitliche eher ein Räumliches ist?“ Was in der Musik in zeitlicher Folge wahrzunehmen ist, wird im Bild als Zusammenklang von Farbe und Form auf einen Blick sichtbar. Am ehesten waren die Abstrakten Expressionisten imstande, in ihrer rasanten Farbgestik die Vorstellung von Bewegung, auch im Sinne von bewegter Gleichzeitigkeit zu evozieren. Doch waren es letztlich die nichtmalerischen Künste, an die das Thema Zeit delegiert wurde: Happening, kinetische Kunst, Video-Art.

Neben der Form sprengenden Farbe gibt es indes noch eine weitere Möglichkeit, Zeitlichkeit im Gemälde sichtbar zu machen: Materialschichtung. Indem er seine Arbeitsphasen offen legt, gibt uns Alban Muslija nicht nur Einblick in seine Werkstatt. Mit bis zu 50 Übermalungen verweist er auch auf geologische Schöpfungs- und Formprozesse, hinter welchen die Zeit des Malers und die des Malens weit zurückbleiben. Kosmos, Landschaft, Kulturen entstehen, wachsen – und vergehen:
inhaltlicher Ausgangspunkt des zentralen Zyklus’ „Ursprung und Mythen“. So wie Plattentektonik, Eiszeiten, Vulkanausbrüche und Erosion ihre unverkennbaren Spuren in der Landschaft hinterlassen, diese buchstäblich formen, so gerät Muslijas Malerei zu einem elementarem Formungsprozess, die Malerei entsteht ebenso buchstäblich durch das Ineinanderfließen, Übereinanderschichten, Aufreißen und neuerliche Schließen der Flächen – ein Prozess ohne eigentlichen Anfang und Ende.

Es stimmt: Über den Menschen Alban Muslija, seine interessante Biographie eines doppelten Heimatverlustes zwischen Deutschland und dem Kosovo erfahren wir aus seinen informellen Bildern zunächst scheinbar wenig. Allenfalls durch ihre Titel und die Übermalungen privater Fotos lassen sich seine Gestaltungen auf persönliche Eindrücke, Reiseeindrücke zumeist (Ägypten, Burgund, Berner Oberland), beziehen. Und dies sind nun wiederum ohne Zweifel sorgsam gewählte Orte mit Gewicht und Geschichte, besondere Orte, denen sich der Künstler bewusst aussetzt: z.B. der gewaltigen Masse der großen Pyramiden bei Gizeh, ihrem nach menschlichen Dimensionen unvorstellbaren Alter. Oder den in Masse und Alter nochmals um viele Zehnerpotenzen gewaltigeren Bergen der Jungfrauregion – all dies Erfahrungen, die später in seine Kunst mit einfließen.

„Hineinhorchen in die Tiefe der Zeit“ – so könnte das Programm seiner Bilder lauten, wobei es ihm nicht vorrangig um die Frage nach ihrem Anfang oder Ende geht. In vier Räumen begegnet der Künstler malerisch dem Phänomen der Zeit: im kosmischen, geologischen, mythologischen und historischen, – wobei sich der Bezugsrahmen verengt. Dahinter aber steht immer die Frage nach dem Wesen der Zeit. Nicht umsonst hat er in das Titelbild dieser Ausstellung eine Manuskriptseite von Einsteins spezieller Relativitätstheorie collagiert, überlagert von blauen Sedimenten: Blau – die Farbe der Dynamik und der Transzendenz.

Ein Schlüsselwort für das Selbstverständnis dieses im besten Sinne gläubigen Künstlers, der auch ein ausgebildeter Ingenieur ist. Naturwissenschaftliche und metaphysische Weltsicht im Bildraum zusammen zu führen, fragend gegenüber zu stellen, dies ist der Ansatz. Denn hinter den im Bild sichtbar gemachten Formbewegungen, der Bewegung in der Zeit, ahnt auch er eine Sphäre der reinen Konstanz. Versinnbildlicht wird diese spirituelle Dimension etwa durch die übermalten Heiligen und dem Gekreuzigten von Grünewald – jenem Künstler, bei dem die Form sprengende Farbe eine geradezu „mystische“ Intensität gewinnt. Bilder, die sich gerade im Mönchschor des ehemaligen Kapuzinerklosters gut ausnehmen. Doch ein Glaubensbekenntnis wird nicht abgelegt, vielmehr, fernab jeder Botschaft, malerisches Miterleben eingefordert. Ein durchaus evokativer Ansatz.

Alban Muslijas Bilder haben sich im Verlauf des vergangenen Jahres verändert. Die intensive, ja offensive Farbigkeit ist einer neuen Dezenz gewichen, der expressive Duktus gerade der Textilbilder, von denen zwei in dieser Ausstellung hängen, tritt deutlich zurück. Es dominieren wachende Schwarz- und Weißbereiche und grafische Elemente. Farbe drängt, in gewohnter Vehemenz, eher vom Rand ins Bild, gleich seitlich einfallendem Licht. Malerei und Fotografie – auch dies einer der Grenzbereiche, die Muslija interessieren – gehen bisweilen fließend ineinander über, dann stehen sie sich wieder scharf abgegrenzt nebeneinander, jedes Medium für sich. Damit streift er, nicht ganz zufällig, ein weiteres zentrales Thema in der bildenden Kunst des vergangenen Jahrhunderts.

 „Zwischen den Zeiten“ sind zwei Gemälde betitelt, und tatsächlich faszinieren den forschenden Künstler die Zwischenräume, die Leerstellen – etwa zwischen den geologischen Epochen Kreide und Jura. Und natürlich auch die geheimnisvollen, Zeit absorbierenden, Zeit krümmenden „schwarzen Löcher“. Aus dem grenzenlos dynamischen Farbkosmos kehrt er zunehmend auf den Boden dinglicher Erfahrung zurück – etwa wenn er sich in einem Teil seinen neuen Arbeiten dem sowohl technisch wie auch gesellschaftlich-historisch besetzten Thema Eisenbahn widmet. Hierbei zeigt sich die Bandbreite der Gültigkeit seiner Fotoübermalungen, denn auch hier geht es um das Sichtbarmachen von Zeit und Veränderung in ihr – mag die Halbwertszeit eines Schweizer Berggipfels erheblich größer sein als die eines Eisenbahnwaggons, so gehorchen sie doch beide demselben Prinzip von Entstehen, Dasein und Vergehen.

Erinnern wir uns: Es war die Erfindung der Eisenbahn, die erstmals die Frage aufwarf, ob die „Verkürzung der Zeit“ durch wachsende Geschwindigkeit dem Menschen überhaupt zuträglich sei. Viel zu schnell, hieß es damals – bei 30 Pferdestärken. Die Vehikel eines solchen Fortschritts sind nicht nur im Bild längst stillgelegt: nostalgische Makulaturen der Technikgeschichte, doppelt augenfällig (und augenzwinkernd) durch die Tatsache, dass es sich bei den abgebildeten Wagen gar nicht um originäre Eisenbahnwagen, sondern vielmehr um alte Blechmodelle im Spielzeugmaßstab handelt. Ein Vexierspiel mit den Dimensionen mithin, denn nicht sofort merkt der Betrachter, dass er es gar nicht mit „echten“ Loks und Wagen zu tun hat. Und auch hier wieder der Faktor Zeit - und die Geschichte (oder Geschichten), die sie potenziell birgt: fabrikneue Züge würden Muslija als Motive für seine Kunst entschieden weniger reizen.

Ob die Verbindung von Maler und Ingenieur im Werk Alban Muslijas weiterhin in Erscheinung tritt, ob seine fließende Zeichnung, auch seine Pinselschrift sich verfestigt, gar in Richtung konstruktiver Entwürfe, bleibt abzuwarten. Erleben wir diese Ausstellung seiner jüngsten Bilder als Ausdruck eines vielseitig bewegten Geistes!




Einführung zur Einzelausstellung im Kunstverein March (Breisgau) 
November 2010

Dr. Susanne Ramm-Weber, Kunstwissenschaftlerin

Meine erste Begegnung mit Werken von Alban Muslija fand im ehemaligen Kapuzinerkloster
in Haslach im Kinzigtal statt. In der Ausstellung zum 25-jährigen Jubiläum des dortigen
Kunstvereins waren vor einem knappen Jahr vier Werke von Alban Muslija zu sehen. Ich
kannte den Künstler vorher nicht und die Werke haben mich durch ihre Überzeugungskraft
überrascht. Dargestellt sind die Schweizer Alpen und ein Dampfer auf dem Thuner See. Nicht
das Thema war überraschend, mit Landschaft beschäftigen sich viele, das ist nichts
Ungewöhnliches. Überraschend war die Art der Darstellung. Diese Bilder lassen die
Schweizer Berge und den Ausflugsdampfer auf dem See farblich fühlen, grau in grau,
schnittig das Schiff, ein bisschen lockert sich der Himmel auf. Alban Muslija zeigt Farbe und
Dynamik satt. Die Figürlichkeit ist stark zurückgedrängt, sie bahnt sich ihren Weg durch das
Wilde der Farbe hindurch, die in ihrem gestischen Schwung Emotion pur ist. Die kühlen
Farben herrschen vor, der Elan kommt aus der Bewegung des Pinsels.

Eine zweite Begegnung anlässlich einer Ausstellungseröffnung im Klinikum Offenburg
Anfang März bestätigte diesen Ersteindruck, auch in diesen Bildern zeigt sich eine expressive
Kraft, die Entladung ungehemmten Tuns, die im Grunde stets geführt ist und keineswegs so
willkürlich, wie der erste Blick weismachen will.

Gerne habe ich also die Aufgabe übernommen, heute in die Ausstellung einzuführen. Wer ist
dieser Alban Muslija, was beschäftigt ihn und wie setzt er seine Vorstellungen um? Während
seines Ingenieur-Studiums betreibt er nebenher intensive Malstudien. Unzählige überaus
farbige und farbenfrohe, verspielte, bisweilen naive Arbeiten in Ölkreide entstehen als
Stilstudien. Manches Bild kommt in drei oder vier Versionen mit geringfügigen Änderungen
vor. Auf diese Weise eignet sich Muslija nicht nur den Umgang mit Farbe an, sondern auch
mit Form, mit Licht und Schatten, mit kompositorischer Fügung. Angelehnt an fast alles, was
das frühe zwanzigste Jahrhundert zu bieten hat, ist die Nähe zu August Macke, zu Paul Klee
und Wassily Kandinsky besonders groß. 

Diese Phase, in der Muslija sich auch intensiv mit der Kunstgeschichte auseinandersetzt, dauert ungefähr vier Jahre, dann beginnt er sich von den Vorbildern zu lösen, damit geht eine Reduzierung hinsichtlich der Farbe und der Form einher. Die Stadtansichten und Landschaften, die anfangs auch biographisch motiviert sind, weichen übergeordneten Themen, Träumereien und schließlich kosmischen Bildern. In einer Übergangszeit von etwa drei Jahren existieren noch das Figürliche und die aufgelöste Form nebeneinander, nur damit sich dann etwa ab 2003 das Ungegenständliche, das Übergeordnete, das freie Hantieren mit dem Material mehr und mehr durchsetzen kann. Gegenständliche Spuren bleiben bis heute vorhanden, nicht in allen Werken, aber doch in vielen. Wichtig ist, dass sie allmählich einen anderen Stellenwert im Bild erhalten, sie stehen immer weniger für das dargestellte Objekt selbst, als dass sie nun eher Zitat-Charakter haben und in der
Komposition des Bildes eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Diese Entwicklung geht mit der
technischen Weiterentwicklung einher. Die ersten Anfänge fanden mit Ölkreide statt, dann
folgen einige Versuche in Öl, bis Alban Muslija sich für Acrylfarben entscheidet, die
schneller trocknen als Ölfarben. Hinzu kommen nun Collagen und Übermalungen von
Fotografien. Auch diese sind meist aus eigener Hand entstanden.

Nach 2004 mischen sich neben kosmologischen zunehmend religiöse Themen in das Werk, zwei Seiten der gleichen Medaille. Der Urknall und der Sündenfall. Die kräftigen Farben weichen nun einem beständigen einheitlicheren Kolorit, das ein Bild dominiert. Landschaft wird ein weiteres
Thema. Diverse Reisen führen in die Schweiz an den Thunersee, über dem sich der Niesen
mit seiner charakteristischen pyramidalen Bergspitze erhebt und ein vielfaches Motiv zum
Arbeiten abgibt. Der Abstraktionsgrad in den Arbeiten nimmt weiter zu. Der Strich,
anfänglich fest gefügt, wird immer freier, das heißt die ausführende Hand in ihrer Bewegung
sicherer und führt schließlich ganz zur Lösung von der Form, wie etwa in der Arbeit
„Landschaft im Werden“. Hier wird der rustikale Ton des Bildes durch Sandbeimischungen
verstärkt, die Landschaft selbst ist soweit abstrahiert, dass man nur noch von „Erdigem“
sprechen kann, eine bestimmte Zuordnung findet nicht mehr statt. Allenfalls erahnt man noch
eine Differenz zwischen Himmel und Erde, ein topographischer Verlauf, ein Schwung, der in
der Topographie liegt, wird übermittelt. So wie eine Landschaft in einer bestimmten Ordnung
gegliedert ist, hat sich das Chaotische, die reine Farbmasse, auf der Leinwand in eine neue
Ordnung gefügt. Hier findet eine Übertragungsleistung statt.

Ein wenig anders sieht der Fall aus, wenn Fotografien zugrunde liegen. Einige Arbeiten sind
in der fränkischen Schweiz entstanden. Hier ist der Stein und seine Veränderung im Lauf der
Zeit das Thema. Das Bleibende gegen die Veränderung. Die Übermalung prägt das Bild, die
Fotografien kommen nur noch rudimentär zum Vorschein. Felsbrocken, Baumstämme, eine
Steinwand. Dort, wo viel Weiß die Bildmitte dominiert, entsteht der Eindruck, als werde
Vorhandenes unsichtbar gemacht, ausgelöscht gewissermaßen. Es geht auch hier nicht um ein
rein willkürliches künstlerisches Handeln. Immer ist die Übermalung rückgebunden an das
Darunterliegende, sei es, dass sich das Senkrechte der Baumstämme optisch in den
herunterlaufenden Farbrinnsalen wiederholt, sei es, dass die Übermalung an bestimmten
Stellen den Blick auf das Darunterliegende freigibt. Das Tun auf der Leinwand ist damit
äußerst absichtsvoll. 

Noch deutlicher wird das in jenen Fotoübermalungen, die im Burgund
seit 2004 und auch nach einer Ägypten-Reise im Jahr 2007 entstanden sind. Hier ist die
Übermalung erheblich zurückhaltender, spurenhaft bloß, teils werden die vorhandenen
optischen Eindrücke verstärkt, etwa die Spitze der Pyramide von Gizeh ausgemalt, teils mit
wenigen Strichen in Parallelführungen übermalt. Mit dem eigenen Strich eignet sich der
Künstler zugleich die Fotografie an, er ordnet das Dokumentarisch-distanzierte dem Kreativschöpferischen, der persönlichen Handschrift unter. Gleichzeitig bleibt das Dokumentarische
soweit erhalten, dass die eindeutige Zuordnung, das Erkennen des abgelichteten Objekts
erhalten bleibt.

Eine bevorzugte Objektgruppe zum Übermalen sind in der letzten Zeit Spielzeugfahrzeuge
von historischem Wert geworden, alte Blechspielzeuge, heute Sammlerstücke, von Bagger
über Laster zu Dampfer und Eisenbahn. Diese Thematik ist auch biographisch begründet. Im Alter
von fünf Jahren zog Alban Muslija in die Heimat seines Vaters, den Kosovo, wo er bis zum Alter von siebzehn Jahren aufgewachsen ist. Das wichtigste damals für den Künstler vorhandene Spielgut waren Legosteine, auch sie sind in Muslijas Werk bereits zu Ehren gekommen, sehr versteckt, man muss genau hinschauen, rutschen sie in der expressiven „Wurmlochreise“ durch den mit Stoff modellierten Kanal. Ein Wurmloch beschreibt ein bestimmtes physikalisch-astronomisches Phänomen, zu dem Sie Herrn Muslija besser selbst befragen. Nur soviel: Der Name Wurmloch stammt von der Analogie mit einem Wurm, der sich durch einen Apfel hindurch frisst. Er verbindet also zwei Seiten desselben Raumes (der Oberfläche) durch einen Tunnel.

Wenn man so will, stellen die Spielzeuge für den Künstler eine nicht gekannte Größe dar. Es
werden ausnahmslos Spielzeuge abgebildet, die aus einer Zeit stammen, als der 1972
geborene Künstler noch gar nicht auf der Welt war. Auch hier geht es um die Faszination, um
die Aneignung, geht es um Fragen der Zeit, des Alters, letztlich der Geschichte. Als die
politische Lage immer prekärer wird, entschließt sich die Familie 1989, den Kosovo zu
verlassen und in den Ort der Mutter, nach Osnabrück, zurückzukehren. Eine traumatische
Erfahrung für den Siebzehnjährigen, der die Religion für sich als Thema der
Auseinandersetzung entdeckt, vielleicht weil die Erziehung hier eine Leerstelle lässt. 2004
gestaltet er ein Altarbild für die Heilig-Geist-Kirche in Stutensee-Büchig bei Karlsruhe.
Hier in March sind die Arbeit „Sündenfall“ und der „Turm zu Babel“ präsent. Beide Arbeiten
sind mehrteilig und über geteilte Schriftzüge in Schablonenlettern miteinander verbunden. In
der Arbeit „Sündenfall“ mischen sich das Kosmische und das Religiöse ganz direkt und
ungeniert. Und wenn ich vorher vom Zitat-Charakter der gegenständlichen Spuren sprach,
dann lässt sich das an diesem Bild im Konkreten festmachen, in das collagenartig ein
Schaubild des Planetensystems, eine Raumsonde und eine Strichzeichnung von Mann und
Weib, die man durch die Aufschrift automatisch als Adam und Eva zu verstehen geneigt ist,
eingearbeitet ist. „Hinaus“ steht oben drüber, ein Wort genügt, um die Geschichte von der
Vertreibung aus dem Paradies hervorzurufen, und die Interpretation kann nur dahin gehen,
dass das Paradies hier mit dem Kosmos und seiner Unendlichkeit, seiner Ferne in Verbindung
gebracht wird.

Während des Atelierbesuchs quoll das Gespräch mit Alban Muslija von Namen
zeitgenössischer Künstler nur so über. Vergleiche mit Werken von Künstlern, die bereits zu
kunsthistorischen Ehren gekommen sind, möchte ich allerdings nicht vornehmen, wenn auch
für jeden Pinselstrich jemand als Vorbild herhalten könnte. Übermalung ist Arnulf Rainer, ein
Spachtelstrich Gerhard Richter, Reminiszenzen zu Hunderten. Mir gefällt es besser, wenn ein
Werk für sich stehen kann und ich meine, das bekommt auch dem Künstler besser. Dann kann
er so frei sein, wie seine eigenen Bedingungen es ihm erlauben. Herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.